Ein Tag bei Gericht
Dauer | 2-3 Unterrichtseinheiten |
Schulstufe | ab der 10. Schulstufe |
Zielsetzungen | • Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung gegen den notwendigen Schutz der Opfer rassistischer Beschimpfungen oder Hate Speech abgewogen werden sollte • Schutz – und Einschränkungen – des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Artikel 10) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) betrachten • Verständnis für die Rolle des Europäischen Gerichtshofs entwickeln |
Kompetenzen | Sachkompetenz, Handlungskompetenz |
Materialien | • Kopien der Handouts und Rollenkarten (siehe Downloads) • Stifte und Papier für Notizen • Platz für Kleingruppen – im Idealfall in getrennten Räumen |
Methoden | Arbeit in Kleingruppen, Rollenspiel |
Vorbereitung | • Kopieren und Ausschneiden der Karten. Alle TeilnehmerInnen benötigen eine eigene Karte und eine Kopie des Falls. Es sollte möglichst gleich viele RichterInnen, VertreterInnen der dänischen Regierung und VertreterInnen von Herrn Jersild geben. • Die Karten in jeder Gruppe werden nummeriert, so dass jeder Nummer ein/e RichterIn, ein Herr Jersild und ein/e RepräsentantIn der dänischen Regierung entspricht. • Es ist darauf zu achten, dass jedes "Gericht" (3 Personen) genügend Platz hat. |
Quelle |
Europarat (Hrsg.): Bookmarks. Bekämpfung von Hate Speech im Internet durch Menschenrechtsbildung. Übers. a.d. Engl.: Brita Pohl. Wien: Edition polis, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage 2017. ISBN 978-3-902659-14-9. |
Aktualisiert | 18.2.2017 |
Ablaufbeschreibung
1. Erklären Sie der Gruppe, dass die Sitzung einem Fall gegen die dänische Regierung gewidmet ist, der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurde. Die TeilnehmerInnen übernehmen die Rollen der verschiedenen AkteurInnen in dem Fall – RichterInnen, die dänische Regierung und Jens Olaf Jersild, ein Journalist, der wegen der Produktion einer Sendung verurteilt wurde, die rassistische Ansichten enthielt. Wenn nötig, erinnern Sie die TeilnehmerInnen an die Rolle des Gerichts und der EMRK und erklären Sie, dass der Fall sich auf die freie Meinungsäußerung bezieht.
2. Fragen sie die TeilnehmerInnen, was sie unter freier Meinungsäußerung verstehen, und ergänzen Sie die Ergebnisse der Diskussion mit den folgenden Informationen (oder holen Sie sich diese aus Kapitel 5 des Handbuchs Bookmarks).
Freie Rede oder das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Menschen sollten die Möglichkeit haben, ihre Meinungen oder Gedanken zu "äußern", da Gedanken, Meinungen und Überzeugungen einen wichtigen Teil unserer Identität darstellen. Die freie Meinungsäußerung sollte zudem geschützt werden, weil sie in demokratischen Gesellschaften eine Schlüsselrolle spielt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann jedoch eingeschränkt werden, wenn es Einzelnen schadet oder die Gesellschaft gefährdet.
3. Lesen Sie die Informationen über "Den Fall" (siehe Handout unter Downloads) vor, wobei Sie darauf achten müssen, dass die Details allen klar sind.
4. Die Teilnehmenden werden in drei etwa gleich große Gruppen aufgeteilt:
– Gruppe A stellt Jens Olaf Jersild dar
– Gruppe B stellt die dänische Regierung dar
– Gruppe C stellt die RichterInnen des Europäischen Gerichtshofs dar
5. Jede Gruppe erhält Kopien der jeweiligen Rollenkarte und eine Kopie der Fallinformationen. Die Gruppen haben 30 Minuten Zeit, ihre Position zu diskutieren und zu klären, bevor sie sich mit den VertreterInnen der anderen Gruppen treffen und die Verhandlung beginnt. Sie sollten die Zeit vor der Verhandlung dazu nutzen, ihre Argumente bzw. im Fall der RichterInnen Fragen an beide Seiten vorzubereiten.
6. Nach der 30minütigen Vorbereitungszeit bitten Sie die TeilnehmerInnen, die Mitglieder der anderen Gruppen mit derselben Nummer zu suchen und mit diesen beiden eine neue Gruppe zu bilden. Die Person mit Nummer 1 in Gruppe A muss also die Person mit Nummer 1 in Gruppe B und die mit Nummer 1 in Gruppe C suchen.
7. Erklären Sie, dass jede dieser neuen Kleingruppen ein Mini-Gericht darstellt. Die Gerichte haben weitere 20 Minuten, um die Argumente beider Seiten zu hören und die Fragen der RichterInnen zu stellen.
8. Danach sollte jede/r RichterIn zu einem persönlichen Urteil darüber kommen, ob Artikel 10 verletzt worden ist. In der Gesamtgruppe werden die RichterInnen aufgefordert, ihre Entscheidung zu verkünden und zu begründen.
9. Die VertreterInnen der beiden anderen Gruppen erhalten die Möglichkeit, auf die Urteile zu reagieren; dann verkünden Sie das tatsächliche Urteil des Europäischen Gerichtshofs in diesem Fall (siehe Downloads "Urteil des Europäischen Gerichtshofs") und bitten die Teilnehmenden um ihre Reaktionen.
10. Gehen Sie zu Nachbesprechung und Evaluierung über. Achten Sie darauf, dass die Teilnehmenden nicht mehr in der Rolle sind, bevor die folgenden Fragen besprochen werden.
Nachbereitung
- Welche Aspekte des behandelten Falls waren am schwierigsten?
- War es schwierig, die Rolle zu spielen?
- Hat der/die RichterIn in deinem Fall die richtige Entscheidung gefällt? Welche Aspekte waren in der letztendlichen Entscheidung am wichtigsten?
Die Teilnehmenden erhalten die folgende Information:
Obwohl es nicht die Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs war zu entscheiden, ob die Kommentare der Grünjacken verurteilt werden sollten, gab er dazu in seinem letztendlichen Urteil einen Kommentar ab. Die RichterInnen waren der Meinung, dass die Bemerkungen der Grünjacken nicht unter die Freiheit der Meinungsäußerung fallen – mit anderen Worten, dass sie solche Meinungen nicht "frei" hätten äußern dürfen.
- Seid ihr auch dieser Meinung? Welche Argumente gibt es für und gegen die Einschränkung ihrer Rechte?
- Kennt ihr aus eigener Erfahrung ähnliche Beispiele von Rassismus im Internet? Wie würdet ihr reagieren?
- Denkt ihr, dass es erlaubt sein sollte, im Internet rassistische Bemerkungen oder Hate Speech zu posten?
- Habt ihr Ideen, was ihr tun könnt, damit solche Beschimpfungen nicht mehr vorkommen?
Moderationstipps
- Einige Argumentationen der Grünjacken sind als Option im Handout "Der Fall" (siehe Donwloads) aufgelistet. Entscheiden Sie nach eigenem Ermessen, ob Sie diese den TeilnehmerInnen vorlegen wollen.
- Bei Punkt 5 (siehe Ablauf), wenn die TeilnehmerInnen sich mit anderen treffen, die dieselbe Rolle spielen, sollten sie darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie für die tatsächliche Gerichtsverhandlung getrennt werden – und daher alle ihre eigenen Notizen machen müssen. Sie können sich nicht auf andere in ihrer Gruppe verlassen!
- Regen Sie an, einen Teil der Zeit für eine Diskussion über Details des Falles zu verwenden und einen Teil, um ein Eingangsstatement vorzubereiten. Die RichterInnen sollten die Details des Falles klären und darüber nachdenken, welche zusätzlichen Informationen sie von den beiden Seiten benötigen, um ein Urteil zu fällen.
- Erklären Sie beiden Seiten der Verhandlung, dass sie den RichterInnen die bestmögliche Verteidigung vorlegen müssen, selbst wenn sie nicht mit der jeweiligen Position einverstanden sind.
- Es ist am günstigsten, wenn die verschiedenen "Gerichte" entweder in verschiedenen Räumen tagen können (siehe Punkt 7 des Ablaufs) oder zumindest weit genug voneinander entfernt sind, dass sie einander nicht stören.
- Bitten Sie die RichterInnen, ihr Urteil erst während der "Verhandlung" zu fällen. Sie könnten im Vorhinein planen, wie viel Zeit sie sich für Fragen nehmen und wie sie diese Zeit auf die Seiten aufteilen wollen. Die RichterInnen sollten beiden Seiten ungefähr gleich viel Zeit geben und sicherstellen, dass genügend Zeit dafür bleibt, mögliche strittige Punkte zu klären.
- Es könnte hilfreich sein, den Teilnehmenden zu sagen, dass der Europäische Gerichtshof nicht wirklich eine Entscheidung über Jersilds Verhalten gefällt hat, sondern dass es um die Prüfung des "Verhaltens" des dänischen Staates gegenüber Jersild ging. Mitgliedsstaaten des Europarats müssen sicherstellen, dass ihre nationalen Gesetze die Menschenrechte von Privatpersonen schützen. Wird der Europäische Gerichtshof aufgefordert, ein Urteil zu fällen, prüft er, ob das Gesetz oder seine Interpretation diesen Rechten wirklich Schutz bietet.
Varianten
Sie könnten die Verhandlung als Rollenspiel aufführen, bei dem eine Gruppe spielt und der Rest beobachtet. Die RollenspielerInnen könnten ihre Rollenkarten vor der Sitzung erhalten und aufgefordert werden, ihre Argumente vorzubereiten. Die BeobachterInnen könnten am Ende des Rollenspiels zu ihren Meinungen befragt werden.
Weitere Aktivitäten
Die TeilnehmerInnen könnten herausfinden, ob die Websites, die sie am häufigsten besuchen, Richtlinien bezüglich rassistischer Beleidigungen oder anderer Formen von Hate Speech haben.
- Sie könnten einige Beispiele sammeln und die Gesamtgruppe könnte die Richtlinien verschiedener Websites vergleichen. Diskutieren Sie, ob sie einige für den Schutz von UserInnen für unzureichend halten – und welche Anpassungsvorschläge sie haben. Sie könnten ihre Vorschläge auf der Website der No Hate Speech-Bewegung posten und andere Online-AktivistInnen dazu anregen, auf die gewählten Websites einzuwirken.
- Sie könnten auch ein oder zwei Websites mit Richtlinien zu Hate Speech auswählen und beobachten, wie gut die Richtlinien implementiert sind. Beispiele von Hate Speech im Internet könnten an Hate Speech Watch und mit einer Beschwerde und einem Verweis auf die Richtlinien jenen Websites gemeldet werden, die den Inhalt hosten.
Entwickeln Sie zusammen mit den TeilnehmerInnen Gegenargumente zu den rassistischen Meinungen aus diesem Fall, die sie verwenden können, wenn sie auf solche rassistische Überzeugungen stoßen. Drehen Sie mit der Gruppe ein Video über den Wert von Diversität und Anerkennung in einer demokratischen Gesellschaft.
Downloads
"Der Fall" [pdf, 3 MB]
Rollenkarten [pdf, 533 KB]
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [pdf, 9 KB]
Link- und Medientipps
Politiklexikon für junge Leute: Hate Speech/Hassrede | Diskriminierung | Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) | Meinungsfreiheit
Kampagnenwebsite des No Hate Speech Movement (in Englisch und Französisch): www.nohatespeechmovement.org
Nationales Komitee "No Hate Speech" in Österreich:
www.bmfj.gv.at/jugend/lebensqualitaet-miteinander/nohatespeech.html
Initiative für Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrende zum sicheren, kompetenten und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien: www.saferinternet.at
ISPA - Internet Service Providers Austria: Infobroschüren zu Hasspostings, Internet sicher nutzen etc.
Hate Crime Reporting: hatecrime.osce.org
KOMPASS - Handbuch der Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische Jugendarbeit (akt. 2020)
www.bpb.de/shop/lernen/weitere/314731/kompass
Kompass Online-Handbuch Menschenrechtsbildung:
www.kompass-menschenrechte.de